Um die Wende zum 20. Jh. war in der Musikstadt Wien der Mangel an geeigneten,
der modernen Zeit und ihren Anforderungen entsprechenden Stätten
für musikalische Betätigung immer spürbarer geworden. Insbesondere
erkannte man die Notwendigkeit eines zweiten großen, modernen Saalbaues,
der für Konzerte aller Art geeignet wäre. Vor allem bei Chor-
und Orchesterkonzerten waren nicht genug geeignete Räumlichkeiten
vorhanden. Nicht selten konnten bedeutende Künstler in Wien nicht
konzertieren, weil kein geeigneter Aufführungsplatz vorhanden war.
Seit 1870, dem Jahr, in dem das Musikvereinsgebäude errichtet worden
war, hatte sich die Bevölkerungszahl Wiens mehr als verdoppelt. Viele
neue Theater waren entstanden, zahlreiche musikalische Darbietungen mussten
jedoch einer neuen Unterkunft harren. Die Erbauung eines Konzerthauses
war daher ein langgehegter Wunsch des Wiener Konzervereins, einer Institution,
die sich durch große künstlerische Bestrebungen auszeichnete.
Aber lange Zeit schien die Verwirklichung eines solchen Bauprojekts unmöglich,
weil es an einem geeigneten, im Mittelpunkt der Stadt gelegenen Bauplatz
fehlte und weil die Finanzierung mit Rücksicht auf die Höhe
des erforderlichen Kapitals große Schwierigkeiten bot. Aber auch
diese Schwierigkeiten sollten überwunden werden. Dem "Wiener
Sängerhausverein" wurde nämlich vom Stadterweiterungsfonds
die große Grundfläche neben dem Platz des Eislaufvereins für
die Erbauung eines Sängerhauses angeboten. Der Wiener Sängerhausverein
hatte sich nun mit dem Wiener Konzertverein zur Bildung einer "Wiener
Konzerthaus-Gesellschaft" vereinigt. Dieser neuen Konzerhaus-Gesellschaft
wurde die erwähnte Baufläche um einen Pauschalpreis von 660
000 Kronen zur Verfügung gestellt, was ein ausgesprochen niedriger
Grundpreis war. Außerdem ergab sich die Möglichkeit, die Finanzierungsschwierigkeiten
um ein wesentliches zu vermindern. Mit dem 1. Jänner 1909 war das
ehemalige Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde als "Akademie
für Musik und darstellende Kunst" in den Besitz und die Verwaltung
des Staates übergegangen. Man brauchte für die neue Akademie
eine neue Heimstätte, da die Räumlichkeiten im Musikvereinsgebäude
für ihre Bedürfnisse nicht mehr genügten. Aus den diesbezüglichen
Verhandlungen zwischen Unterrichtsverwaltung und der Wiener Konzerthaus-Gesellschaft
war folgendes Ergebnis zustandegekommen: Die Wiener Konzerthaus-Gesellschaft
sollte einen Bau errichten lassen, der zwei räumlich voneinander
vollständig getrennte Institute beherbergen sollte, nämlich
das Wiener Konzerhaus und die k. k. Akademie für Musik und darstellende
Kunst. Nach außen hin sollte das Gebäude zwar seine Bestimmung
für beide Institutionen zum Ausdruck bringen, im Ganzen aber sich
einheitlich präsentieren. Die Wiener Konzerthaus-Gesellschaft sollte
nach Fertigstellung des ganzen Gebäudes jenen Teil, der die Akademie
enthielte, abgeben und dem Staat - samt der inneren Einrichtung - ins
Eigentum übergeben. Dafür verpflichtete sich die Staatsverwaltung,
der Wiener Konzerthaus-Gesellschaft zu den Kosten der Errichtung des ganzen
Gebäudes einen Beitrag von 2 000 000 Kronen zu leisten. Diese Konstellation
hat sich für beide Teile als vorteilhaft erwiesen. Beim nachfolgenden
Bauprogramm hatte man folgende Grundlinien einzuhalten: Das für die
Akademie für Musik und darstellende Kunst bestimmte Gebäude
sollte Unterrichtsräume für ungefähr 1 000 Schüler,
weiters Büround Bibliotheksräume, Übungssäle für
Kammermusik, Opern- und Schauspielschule, Fechtsaal, Chorschule sowie
einen für Konzertaufführungen bestimmten Übungssaal mit
ca. 600 Sitzplätzen erhalten. Im Konzerthaus plante man drei Konzertsäle
unterzubringen: einen großen Saal für Orchester und Chorkonzerte
mit einem Fassungsraum von mindestens 2 000 Personen; einen mittleren
Saal für Kammermusikveranstaltungen mit einem Fassungsraum von etwa
850 Personen; einen kleinen, für Lieder- und Kammermusikabende vorgesehenen
Saal mit einem Fassungsraum von 350 Sitzplätzen.
Das Orchesterpodium des großen Saales konzipierte man für 100
Orchestermusiker und etwa 600 Sänger. Das Podium sollte versenkbar
ausgeführt werden, um bei Ballfesten oder ähnlichen Anlässen
die Parkettfläche vergrößern zu können. Gleich zu
Baubeginn plante man, sowohl den großen als auch den mittleren Saal
mit einer Orgel zu versehen. Das Podium des kleinen Saales wurde derart
eingerichtet, daß es mit den dahinterliegenden Nebenräumen
auch zu einer kleinen Bühne umgestaltet werden konnte, um für
kleinere theatralische Darstellungen verwendbar zun sein. Man legte Wert
darauf, daß die drei Säle mit sämtlichen Nebenräumen
für große Veranstaltungen derart vereinigt werden konnten,
daß gleichzeitig rund 6 000 Personen Platz fänden. Für
die Herstellung dieses großen Projektes wurden als Architekten Ludwig
Baumann, Ferdinand Fellner und Hermann Helmer gewonnen. Alle drei konnten
als im Theater- und Saalbau erfahrene Architekten bezeichnet werden. Die
Verwirklichung des Projektes dauerte von 1911 bis 1913. Die feierliche
Eröffnung des Hauses fand am 19. Oktober 1913 statt. Für dieses
Festkonzert, das im Großen Saal abgehalten wurde, hatte Richard
Strauss ein "Festliches Preludium für Orchester und Orgel"
(Opus 61) komponiert; auf dem Programm standen weiters die Fantasie in
g-Moll für Orgel von Johann Sebastian Bach (Solist Rudolf Dittrich)
sowie die 9. Symphonie von Beethoven. Solisten waren Aaltje Noordewier-Reddingius,
Adrienne von Kraus-Osborne, Felix Kraus und Leo Slezak. Es spielte das
Orchester des Wiener Konzertvereines unter der Leitung von Ferdinand Löwe.
Beim Beschreiten der Hauptstiege wird man an die Entstehung des Gebäudes
erinnert - "Dieses Haus wurde 1912 unter dem Ehrenschutz Kaiser Franz
Josephs I. erbaut", ist auf einer Tafel zu lesen. Diese Gedenktafel
ist am Kaiser-Relief des Bildhauers Edmund Hellmer zu sehen, jenes Künstlers,
dessen bekannteste Werke das Johann-Strauß-Denkmal im Stadtpark
und das Goethe-Denkmal auf der Ringstraße sind. Im Foyer des Konzerthauses
finden wir eine Gedenktafel, die uns an die beim Bau des Hauses hauptbeteiligten
Personen und Institutionen erinnert. Eine weitere Tafel gibt uns Auskunft
über die Zusammensetzung der damaligen Leitung der Konzerthaus-Gesellschaft.
Wenige Jahre nach der Eröffnung des Hauses am Heumarkt wurde das
Innere nochmals durch die Aufstellung eines wertvollen Kunstwerkes bereichert.
Anläßlich der Beethoven-Zentenarfeier im März 1927 wurde
im Foyer des Konzerthauses das Originalmodell des Wiener Beethoven-Denkmals
von Caspar von Zumbusch aufgestellt.
Wenden wir uns nun noch den anderen Institutionen zu, die im Konzerthausbau
ebenfalls ein Zuhause gefunden haben. Eingangs wurde bereits erwähnt,
daß die seit 1909 so benannte "Akademie für Musik und
darstellende Kunst" in dem baulich einheitlich gestalteten Konzerthausgebäude
von Anfang an untergebracht war. Die Institution hatte schon eine längere
Tradition. Schon 1817 begann mit einer Singschule unter Salieri das "Wiener
Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde" seine Tätigkeit.
Die Vollgründung dieser Institution erfolgte 1821; 1909 wurde sie
zur "K. k. Akademie für Musik und darstellende Kunst".
In der Zeit von 1941 bis 1945 trug das Institut den Titel "Staatliche
Musikhochschule", nach dem Krieg übernahm man wieder den schon
gebäuchlichen Namen "Akademie für Musik und darstellende
Kunst". Das Schulgebäude im Konzerthaus wurde während des
Zweiten Weltkriegs arg beschädigt. Die weltberühmte Akademie
weist heute von allen österreichischen Hochschulen den größten
Prozentsatz an ausländischen Studierenden auf. Gegliedert ist die
Akademie in neun Abteilungen: Satzlehre und Kapellmeisterausbildung, Tasteninstrumente,
Saiteninstrumente, Blasinstrumente und Schlagerziehung, Sologesang und
Opernausbildung, Musikerziehung, Kirchenmusik, Tanz, Schauspiel und Regie.
In einem Stockwerk des Gebäudes wurde 1954 eine Gedenktafel enthüllt,
welche die Namen jener Künstler nennt, die von der Leitung der Akademie
zu Ehrenmitgliedern ernannt worden sind.
Neben der Musikakademie ist heute im Gebäude des Konzerthauses eine
weitere Institution untergebracht, die fest im Kulturleben unserer Stadt
verankert ist: das Akademietheater. Dieses Theater war ursprünglich
als Übungsbühne für die Akademie für Musik und darstellende
Kunst gedacht, diente aber später als "Zweigstelle" des
Burgtheaters. Der kleine, intim ausgestattete Raum des 1922 als Kammerspieltheater
gegründeten Theaters gilt auch in architektonischer Hinsicht als
vorbildlich gelungen. Es war vor allem Anton Wildgans, der sich um das
Zustandekommen dieser "Burgtheaterfiliale" verdient gemacht
hatte. Neben Musikakademie und Akademietheater sind heute noch andere
Institutionen in dem großräumigen Gebäudekomplex untergebracht,
wie etwa der "Wiener Schubertbund". Dieser im Jahr 1863 in Schreinsdorfers
Gasthaus "Zur neuen Welt", Kärntnerring 86, gegründete
Gesangsverein trat erstmalig öffentlich am z. Februar 1864 in der
Augustinerkirche mit Schuberts "Deutscher Messe" auf. Der erste
Kapellmeister des Schubertbundes war Franz Mair. Mair, der ehemalige Bürgerschuldirektor
und Liederkomponist, starb 1893 im Haus Custozzagasse 12 auf der Landstraße.
Ursprünglich Chormeister des Wiener Männergesangsvereins, verließ
er wegen Zerwürfnissen diese Vereinigung und gründete den "Lehrerchor
Schubertbund", später in "Wiener Schubertbund" umbenannt.
Zwei weitere Institutionen, die heute im Konzerthausgebäude untergebracht
sind, sollen nicht unerwähnt bleiben: die "Österreichische
Kulturvereinigung" sowie die in Wien sehr bekannte "Tanzschule
Willy Fränzl".
In den Jahren 1974-1975 wurde das Konzerthaus renoviert. Dabei lag besonderes
Augenmerk auf der denkmalpflegerischen Wiederherstellung des ursprünglichen
Aussehens, denn in den rund 60 Jahren seines Bestehens hatte das Konzerthaus
eine Reihe von Umbauten erfahren. Diese Renovierung erforderte einen Betrag
von 20 Millionen Schilling, davon wurde die Hälfte als Subvention
von der Stadt Wien zur Verfügung gestellt.