Theater auf der Landstraße

Im Zeitalter Josephs II. war es in Wien zu einigen Theatergründungen gekommen, manche dieser Bühnen bestanden längere Zeit, anderen wiederum, wie eben dem Theater auf der Landstraße, war nur eine sehr kurze Lebensdauer beschieden. Allerdings muß man zugeben, daß die Wahl des Standortes (heute: Rochusgasse 12) für dieses geplante Theater nicht allzu günstig gewählt war. Nicht allzuweit entfernt hatte sich eine andere, der Mentalität der Bevölkerung eher entsprechende Unterhaltungsstätte bereits etabliert, nämlich das Hetztheater (siehe S. 103f.). Außerdem wollte man die neue Bühne in einer unfrequentierten Gasse etablieren, was natürlich, berücksichtigt man die damaligen Verkehrsverhältnisse, auch nicht gerade dazu beitrug, Besucher von weiter her anzulocken. Es fanden sich aber dennoch drei Unternehmer, die den Versuch starteten, dramatische Kunst in die Vorstadt zu bringen, indem sie eine ständige Bühne errichten wollten. Jedoch fehlten von Anfang an die materiellen Voraussetzungen. Schon von Beginn an mit Schulden überlastet, stand das Unternehmen in jeder Hinsicht unter keinem guten Stern. Verschiedene andere Zwischenfälle führten bald das optimistisch begonnene Unternehmen dem Untergang entgegen. Die drei Männer waren der als Schriftsteller bekannte Johann Rautenstrauch, ein vielgewanderter Theaterprinzipal, Franz Scherzer sowie ebenfalls der Prinzipal Karl Ferdinand Neumann. Federführend bei diesem Unternehmen dürfte Scherzer gewesen sein, der auch den Baumeister Franz Duschinger, der auf den Gründen des 1787 aufgelassenen Augustinerklostergartens ein Haus erbaut hatte, dafür gewann, den Vordertrakt als Theater einzurichten. Das Theater befand sich an der Stelle, die der heutigen Ecke der Rochusgasse mit dem Karl-Borromäus-Platz entspricht. Was das Aussehen des Theaters betrifft, so weiß man, daß der Bau aus Holz bestand. Aus Aktenunterlagen sind wir über Gestalt, Einrichtung und Requisiten des Theaters genauer unterrichtet: Unter anderem gab es drei Galerien, zwölf Logen, außer dem Parterre auch ein Parterre noble sowie Orchester und Schnürboden.
Obwohl im November 1789 an dem Theater noch gebaut wurde, kündigten Scherzer und Neumann bereits die Eröffnung in etwa 5 Wochen an. Als der schon erwähnte Baumeister Duschinger, der Besitzer des Grundes, auf dem die Bühne errichtet wurde, noch vor Eröffnung des Theaters am 25. Dezember 1789 starb, blieb das Haus bis Ende 1796 im Besitz von Duschingers Erben.
Man plante, das Theater künftig als Schauspiel- und Opernhaus zu verwenden. Die Schauspiele sollte Scherzer leiten, die Opern Rautenstrauch. Noch vor der Eröffnung scheinen schon Unstimmigkeiten zwischen den Unternehmern bestanden zu haben. Ein gerichtlicher Vergleich hatte schließlich ergeben, daß Rautenstrauch zwar das Szenarium Scherzers benutzen durfte, aber doch gezwungen war, sich einen eigenen Theaterfundus anzuschaffen. Rautenstrauch mußte sich eine eigene Operntruppe verschaffen; es wurde die Truppe von Hubert Kumpf, der selbst Sänger war und mit seiner Gesellschaft schon an anderen Orten gespielt hatte. Nach all diesen Hindernissen wurde das Theater auf der Landstraße am 11. April 1790 mit Josef Haydns Oper "La vera constanza" endlich eröffnet; Am nächsten Tag folgte Scherzer mit seinen Schauspielen. Mit Haydns Musik wollte man die erfolgreiche italienische Oper ausspielen, der Erfolg des Werkes dürfte aber kein anhaltender gewesen sein. Auf Haydn folgte nämlich bald sehr wohl italienische Musik - von Gazzanigga, Salieri oder Paesiello.

Die schauspielerischen Darbietungen von Scherzer dürften kein besonderes Format gehabt haben und kamen beim Publikum nicht besonders an. Schon zu dieser Zeit traten die ersten Schwierigkeiten auf. Man hätte einen regen Publikumszulauf gebraucht, um das gesamte Unternehmen auf eine solide finanzielle Basis zu bringen. Dieser stellte sich aber leider nicht ein. Bald rührten sich die Gläubiger, und eine Fülle von Klagen, Prozessen und Pfändungen deutete das baldige Ende des Unternehmens an. Nach einem neuerlichen gerichtlichen Vergleich trennte sich Scherzer von Rautenstrauch, der die Oper offenbar vom 11. April bis 24. Mai 1790 geleitet hatte (der letzte erhaltene Theaterzettel stammt vom 22. Mai). Rautenstrauch hatte den Plan, ein eigenes Schauspielhaus zu erbauen, das notwendige Privilegium wurde ihm aber nicht erteilt. Scherzer war nun der alleinige Leiter des Theaters, jedoch sah er sich um einen neuen Kompagnon um. Er fand ihn zunächst in der Person des Marco Freno. Die erste Vorstellung Frenos fand am 7. September 1790 statt, der letzte erhaltene Theaterzettel unter seiner Leitung trägt das Datum 16. November 1790. Bald darauf ging also auch diese Verbindung auseinander. Die Schauspielergemeinschaft suchte nun selbst einen neuen Mann, der Scherzer ersetzen und das Theater besser leiten sollte. Es fand sich bald ein Kandidat, ein Schauspieler, der zwar noch kein Theater geleitet hatte, aber dafür als einer der größten Kulissenreißer seiner Zeit bekannt war: Josef Kettner. Er versuchte nun durch krasse Effekte seines Spieles das Landstraßer Publikum für sich zu gewinnen. Etwa bis August 1791 dürfte er als Liebhaber geschmachtet und als Held in Harnischen gerasselt haben. Die musikalischen Aufführungen blieben unter seiner Leitung auf der Strecke. In dieser Zeit konnte das Landstraßer Publikum Klassiker wie Goethes "Clavigo" oder Schillers "Räuber" neben Shakespeares "Romeo und Julia" und "Hamlet" bewundern. Aber auch Kettner erlitt Schiffbruch. Während die erhaltenen Theaterzettel bis 25. August 1791 noch die Aufschrift "Unter der Direktion Kettner" tragen, ist der erste danach erhaltene Theaterzettel mit dem Vermerk "Die Schauspieler auf der Landstraße" versehen. Man brachte noch das Stück "Der Teufel in Wien" heraus, das bis Mitte Jänner 1792 gespielt wurde, dann brach der Betrieb zusammen. Durch den Tod Leopolds II. am 1. März 1792 trat eine zusätzliche Theatersperre ein. Insgesamt war das Etablissement ein Vierteljahr geschlossen, und niemand glaubte mehr daran, daß sich der Vorhang jemals wieder heben würde.

Kettner sah sich um Hilfe um und fand sie in der Person seiner eigenen Frau. Elisabeth Kettner hatte sich im Lauf der Jahre zu einer namhaften Schauspielerin entwickelt, vornehmlich spielte sie Liebhaberinnen in Trauer- und ernsthaften Lustspielen. Sie war eine tatkräftige Frau und fest entschlossen, die Zügel der Direktionsführung am Landstraßer Theater zu ergreifen. Auch wollte sie wieder die Oper in den Spielplan des Theaters aufnehmen. Dazu engagierte sie noch den Komponisten Franz Pechatschek als Kapellmeister. Frau Kettner eröffnete das Theater mit Voltaires "Merope" am 24. April 1792, sah sich aber auch auf musikalischem Gebiet nach Neuigkeiten um. Eigens für das Theater ließ sie sich von einem gewissen Benedikt Schach eine Oper mit dem etwas eigentümlichen Titel "Die Antwort auf die Frage: was begehrt das Frauenzimmer, arm und reich, alt und jung ohne Ausnahme am heftigsten?" schreiben. In geschickten Ankündigungen versuchte Frau Kettner vor allem die Sensationslust des Publikums anzusprechen. Sie zeigte etwa eine Parodie auf die Hetze in "eirot, der neue Hetzmeister", wobei der Theaterzettel mit Tierdarstellungen ausgestattet war, was beim Publikum sichtlich Assoziationen an das beliebte Hetztheater auslösen sollte. Es wurde, im Stil des Barocktheaters, an nichts gespart: Darstellungen von Einstürzen, Untergänge von Schiffen, brennende Paläste - all dies sollte "den edlen Bewohnern Wiens sehenswert dargestellt" werden. Oper und Singspiel wurden wieder stärker herangezogen, auch brachte das Theater wieder die Klassiker der Bühne, wie "Emilia Galotti".oder "Hamlet". Daneben wurden natürlich zahlreiche Stücke bühnengewandter Modeautoren aufgeführt, wie von Albrecht, Babo oder Halbe ebenso wie reine Spektakelstücke. Elisabeth Kettner hatte das Personal zum größten Teil erneuert und viele Schauspieler von anderen Etablissements für ihre Bühne verpflichtet. Unter der Leitung von Frau Kettner nahm das Theater einen deutlichen Aufschwung und es schien fast so, als wären nun die Anfangsschwierigkeiten endgültig überwunden worden.

Vielleicht hätte diese Bühne einen weiteren Aufschwung erlebt, doch die erfolgreiche Theaterdirektorin Elisabeth Kettner starb ganz unerwartet nach der Geburt eines Kindes am 23. Februar 1794. Aus der Verlassenschaftsabhandlung von Elisabeth Kettner ging hervor, daß sie eigentlich nur die künstlerische Leitung des Theaters innehatte, in wirtschaftlicher Hinsicht das Theater von Kettner und dem Schauspieler Korndorfer gemeinsam geführt wurde. Da aber kaum Geld in der Kasse war, geriet das gesamte Unternehmen wiederum in große Bedrängnis. Bei der Suche nach einem neuen Direktor stieß Kettner auf einen in diesem Metier bekannten Mann, auf Christoph Seipp. Der neue Leiter sollte das bisher glücklose Unternehmen wieder in Schwung bringen. Seipp bearbeitete etwa Shakespeares "König Lear" für die Bühne, daneben verfaßte er auch eine Reihe von Theaterstücken und Reisebeschreibungen. Die neue Schauspielertruppe setzte sich nur zu einem kleinen Teil aus Mitgliedern der Kettnerschen Truppe zusammen, die meisten anderen Schauspieler hatten Seipp entweder mitgebracht (er hatte hauptsächlich mit seiner Theatergruppe in Ungarn, Mähren und Schlesien gespielt) oder neu engagiert. Auch künstlerisch war das Niveau unter Seipps Leitung sichtbar gestiegen. In Shakespeares "Ende gut, alles gut" und vor allem in seiner Paraderolle in Molieres "Geizigem" zeigte der neue Theaterdirektor, daß er auch ein ausgezeichneter Charakterdarsteller war. Neben Lust-, Trauer- und Schauspielen sollte auch langsam wieder die Oper integriert werden, womöglich auch das Ballett. Um auch weiter entfernt wohnende Besucher anzulocken, plante Seipp, nach den Vorstellungen eigene Wagen für den Zuschauertransport bereitzustellen. Nach nur wenigen Monaten Tätigkeit erkrankte Seipp an einer Lungenentzündung, an der er am 20. Juni 1793 im Alter von nur 46 Jahren starb. Frau Sophie Seipp, die durch ihren Mann schon durch Jahre hindurch Einblick in die Leitung eines Theaters erhalten hatte, entschloß sich, die Führung des Unternehmens auf der Landstraße zu übernehmen. Nach einem kurzen künstlerischen und finanziellen Aufschwung geriet das Theater abermals in eine kritische Situation: Einer der Schauspieler war mit der Kasse durchgegangen. Sophie Seipp sah sich gezwungen, das Unternehmen aufzulösen. Um noch ausstehende Ansprüche ihrer Belegschaft befriedigen zu können, wurden noch eine Reihe von Abschiedsvorstellungen abgehalten. Am 15. Oktober 1793 folgte dann die unwiderruflich letzte Vorstellung in diesem Theater mit einem bunten Programm aus Musik, Tanz und Schauspiel. Für mehr als ein Jahrhundert sollte der Bezirk keine eigene Bühne auf seinem Grund beherbergen.